Dieser Ort ist nie fertig

Dieser Ort ist nie fertig

Birgit und Heinz Reitbauer vom Spitzenrestaurant Steirereck, setzen in ihrer Dependance am Pogusch konsequent auf Kreislaufwirtschaft.

Heinz Reitbauer steht in seinem Wirtshaus - schwarze Handwerkerhose, blauer Pulli - und hat alle Hände voll zu tun. Mittwochvormittag ist Handwerkertag. Heute geht es um die Lüftung, die Probleme macht, später muss er noch rüber zur im Bau befindlichen Mitarbeiter:innen-Unterkunft und zur PV-Anlage die gerade erweitert wird. „Dieser Ort ist nie fertig“, sagt der Spitzengastronom und scheint diesen Zustand zu genießen. Reitbauer und seine Frau Birgit, die in Wien den legendären Gourmettempel Steirereck betreiben, verfolgen hier in der Hochsteiermark auf 1.050 Metern Seehöhe ein zweites unternehmerisches Herzensprojekt. 1994 übernahmen sie gemeinsam mit Heinz Reitbauers Eltern, ebenfalls Gastronomen, das urige Ausflugslokal am Alpenpass und arbeiten seither Schritt für Schritt an der Umsetzung ihrer Vision einer Kreislaufwirtschaft.

Recycling als Gesamtkonzept

Und das in jedem Aspekt: Ressourcen möglichst lange im Wirtschaftskreislauf halten, Abfälle minimieren, Lebensmittel abfallarm verwerten, Stoffströme sinnvoll nutzen. Und Gebäude recyceln - auch das gehört zum kreislauforientierten Gesamtkonzept am Pogusch. Schon von außen offenbart das Steirereck am Pogusch seinen Charakter: Die Fassade der Anlieferung ist mit ausrangierten Gastronormbehältern verkleidet, die metallisch in der Sonne glänzen. Was auf den ersten Blick wie eine futuristische Designentscheidung wirkt, ist in Wahrheit ein „gastronomisches und auch wirtschaftliches Zitat“, sagt Reitbauer. „Wir schmeißen ungern Dinge weg.“ Dieser Gedanke durchzieht die gesamte Anlage. Auch für die neue Mitarbeiter:innen-Unterkunft wurde ein altes Bauernhaus abgetragen - Schindel für Schindel, Stein für Stein beschriftet - und wieder zusammengebaut. Kreislaufdenken sollte beim Bauen eigentlich selbstverständlich und politisch vorgeschrieben sein, sagt Reitbauer. „Wir wundern uns, warum noch immer Umbauten von den Behörden genehmigt werden und niemand fragt: Könnt ihr den alten Boden oder die Decke nicht retten?“

Am Pogusch werden sogar alte Baustoffe wiederverwendet.

Ausrangierte Gastronormbehälter sind ein Blickfang in der Küche.

Hier, inmitten der noch fast unberührten Landschaft - der Hochschwab grüßt aus der Ferne - wird das Kreislaufmodell zur möglichen Blaupause für eine zukünftige Gastronomie, die nicht nur kulinarische Spitzenleistungen bietet, sondern auch Verantwortung für die Umwelt übernimmt. Naturnaher Konsum und Nachhaltigkeit als neue Form von Luxus. „Wir wollten nicht einfach nur einen zweiten gastronomischen Ort. Wir haben uns überlegt, was dieser Ort den Menschen in der Region bieten kann. Umgeben von Wald und Wiesen, werden nicht nur Lebensmittel produziert, sondern auch Tiere gezüchtet und geschlachtet. Den Wert von Lebensmitteln erkennen, wissen, wo etwas herkommt, Teil des Prozesses sein - das ist die Vision, die Reitbauers gemeinsam mit ihren 45 Mitarbeiter:innen und zwei Landwirten umsetzen. Die Verwertung der geschlachteten Tiere erfolgt nach dem Nose-to-Tail-Prinzip, bei dem alle Körperteile genutzt werden. „Und wenn eine Speise aus ist, ist sie aus“, betont Reitbauer. Damit will er nicht nur Lebensmittelverschwendung vermeiden, sondern auch das Bewusstsein der Gäste schärfen. Nicht alles muss immer verfügbar sein.

„Wir richten uns an alle Naturliebhaber. Nicht jeder kann nach einem Essen bei uns noch ein paar hundert Euro für eine Übernachtung ausgeben.“

Heinz Reitbauer

Hotel zum Mitmachen

Auch in touristischer Hinsicht steht der Gedanke der Kreislaufwirtschaft im Mittelpunkt. Nur ein Beispiel für den innovativen Zugang der Reitbauers sind die auf dem Gelände errichteten Gewächshäuser. Sie dienen nicht nur dem Anbau von Kräutern, Obst und Gemüse für die Küche, sondern auch als außergewöhnliche Übernachtungsmöglichkeit für Gäste. Zehn Kabanen, kleine beheizbare Höhlen, wurden in die Gewächshäuser integriert. Jede ist mit einer anderen heimischen Holzart ausgekleidet und bietet Platz für bis zu zwei Personen. Der Clou: Die Kabanengäste haben die Möglichkeit, tagsüber in der Landwirtschaft oder in der Küche mitzuarbeiten. Dafür zahlen sie nur die Hälfte des Übernachtungspreises. Wertsachen werden in einer begehbaren Umkleide verwahrt, die Dusche teilt man sich mit den anderen Gästen. Mit diesem Konzept, das wie eine gehobene Jugendherberge wirkt, werden die Gäste aktiv in den Betriebsablauf eingebunden und neue Zielgruppen angesprochen. „Wir richten uns an alle Naturliebhaber. Nicht jeder kann nach einem Essen bei uns noch ein paar hundert Euro für eine Übernachtung ausgeben.“ Der Mitmachurlaub komme vor allem bei einem jüngeren Publikum gut an, das Wert auf umweltbewusstes Handeln und ein besonderes Urlaubserlebnis lege.

Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft zeigt sich auch in der Nutzung der Wasserressourcen am Pogusch. Als Familie Reitbauer in den 1990er Jahren die Landwirtschaft mit dem Wirtshaus übernahmen, gab es weder ausreichend Wasser noch Heizung. Heute ist der Pogusch energieautark, Überschüsse werden in den einzelnen Bauteilen gespeichert. Längst versorgt man sich mit eigenem Quellwasser, das Dach- und Regenwasser wird in drei großen Zisternen gesammelt und steht für Wäscherei, Toiletten und Bewässerung zur Verfügung. „Den Pflanzen schmeckt das Regenwasser natürlich viel besser als das Quellwasser“, sagt Reitbauer und präsentiert das bunte Ergebnis: An der Betonwand des Gewächshauses ranken meterhoch Maracuja-Pflanzen. „Niemand hätte gedacht, dass die hier wächst, aber wir machen nur Florfliegeneinsatz, sonst nichts.“

Auch für Reitbauer gibt es immer wieder Umwege und Überraschungen auf dem Weg ins neue Wirtschaften, von der ersten Idee bis zum funktionierenden Kreislauf investiert das Team viel Zeit und Gespräche. Und manchmal sieht man den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht, auch das gehört zum Trial-and-Error-Ansatz der Gastro-Pioniere. Zehn Jahre lang habe er den seltenen Trompetenpfifferling für seine gastronomischen Kreationen umständlich aus Frankreich importiert. „Bis ich eines Morgens bei einem meiner regelmäßigen Streifzüge am Pogusch bemerkte: Der wächst ja gleich bei uns hinterm Haus.“

Steirereck Pogusch BaumhausLOOP (c) Reinhard Lang

Über allen Wipfeln ist Ruh´- jedenfalls für Gäste, die im Baumhaus übernachten.

Steirereck Pogusch Tischdecke LOOP (c) Reinhard Lang

Ungebügelt? Unbedingt, denn der Verzicht aufs Bügeln spart Energie.

Steirereck Pogusch Glashaus LOOP (c) Reinhard Lang

In den Glashäusern übernachten Gäste zwischen Obst und Gemüse.

Vorzeigeprojekt

Das Steirereck am Pogusch, Ableger des gleichnamigen Wiener Restaurants, das regelmäßig unter den weltweit besten Restaurants rangiert, vereint auf über 1.000 Metern Seehöhe in der Steiermark Gastronomie, Landwirtschaft und Energieversorgung zu einem Vorzeigeprojekt in Sachen Kreislaufwirtschaft. Durch Technologien wie Photovoltaik, Erdwärme, verschiedene Wärmerückgewinnungs-Systeme, Biomasse ist die Anlage heute besonders energieefffizent. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft zeigt sich in allen Bereichen: Abfälle werden minimiert, Ressourcen effizient genutzt, und auch die Gebäude am Pogusch werden recycelt. Gäste können in Gewächshäusern übernachten und aktiv in den Betriebsablauf eingebunden werden. Dank Kooperationen mit Obst- und Gemüsesorten-Spezialistin Evelyn Bach, der Gartenbauschule Schönbrunn oder dem Streuobstprojekt eva & adam treibt man die Versorung mit eigenem Obst und Gemüse für die beiden Standorte in der Steiermark und Wien voran.

www.steirereck.at/pogusch

Fotos: Reinhard Lang
Text: Eva Baumgardinger

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