May 12, 2025
Künstliche Intelligenz verbessert die Abfallverwertung und sorgt für besser sortierte, reinere Rezyklate.
Ist die Ladung des Biomülllasters rein genug für die sofortige Kompostierung, oder muss der Inhalt dutzender Biomülltonnen zuerst noch zur Vorsortierung? Das entscheidet ein neuronales, mit 15 Millionen Abfallbildern trainiertes KI-Netz – und zwar „live“, während der Schüttung der einzelnen Tonnen. Das „Auge“ dieses Systems: Eine im Schüttbereich des Biomülllasters eingebaute Smartphonekamera. Sobald der Tonneninhalt in den LKW geschüttet wird, macht es automatisch fünf Fotos und schickt diese zur Analyse an die Künstliche Intelligenz im Brantner Rechenzentrum. Die Bewertung erfolgt sofort. „Damit können wir den Abladeort schon während der Fahrt bestimmen, das erspart uns viel Zeit und LKW-Kilometer“, erklärt Gregor Lammer, Leiter Business Development bei Brantner digital solutions.
Vor einigen Jahren gab es bei dem Kremser Familienbetrieb Brantner erste Ideen, Schüttgut auf Müllwägen mit bildgebenden KI-Verfahren zu analysieren und dadurch die Recyclingqualität zu optimieren. Das hilft auch der Natur: Biomüll ist ein wertvoller Rohstoff, ideal für die Weiterverarbeitung zu Kompost, Pflanzenerde oder Biogas – entsprechende Reinheit vorausgesetzt. Ab einer Verunreinigung von drei Prozent wird etwa in Deutschland ab Mai 2025 die ökologische Verwendung von Biomüll untersagt. Für Österreich ist eine ähnliche Regelung in Ausarbeitung. Dann wird diese natürliche Ressource, falls sie nicht rein genug ist, entsorgt oder verbrannt, während Kompost und Blumenerde häufig – und wenig umweltfreundlich - mit Rohstoffen aus Torfmooren erzeugt werden. Der Abbau der Torfmoore setzt allerdings gespeichertes Kohlendioxid frei – und verstärkt so den Treibhauseffekt. „In einem Pilotprojekt in Kärnten testen wir, die Biomüllqualität mit Anreizsystemen zu verbessern“, berichtet Gregor Lammer. Statt „anonymen“ Müll in den LKW zu kippen, wird der Inhalt der Tonnen den – freiwilligen – Teilnehmenden zugeordnet. KI bewertet die Qualität, für sauberen Biomüll bekommen die Teilnehmenden Gratis-Komposterde. Das Besondere daran: Brantner entwickelt auch dieses Projekt „Inhouse“. Andere Player der heimischen Abfallbranche sowie Technologiekonzerne setzen bei ihren Bemühungen, Recyclingverfahren mit KI zu verbessern, auf externe Partner.
Im oberösterreichischen Ennshafen haben ARA (Altstoff Recycling Austria), Bernegger und Der Grüne Punkt eine der modernsten Sortieranlagen Europas errichtet: TRIPLAST ist mit einer Sortierkapazität von 100.000 Tonnen pro Jahr und 20 Tonnen Durchsatz in der Stunde auch eine der leistungsfähigsten Anlagen – und nutzt die Hightech-Infrastruktur, um neue Verfahren für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Beispielsweise sollen entsorgte Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff zukünftig vermehrt zu Lebensmittelverpackungen weiterverarbeitet werden. Der Lebensmittelmarkt benötigt viele Kunststoffverpackungen, auch für das Erfüllen der EU-Vorgaben (siehe Kasten) muss hier mehr wiederverwertet werden. Die Recycling-Richtlinien sind aber streng: „Rezyklat für Lebensmittelverpackungen muss zu 95 % aus Lebensmittelverpackungen bestehen“, erklärt ARAplus Geschäftsführer Jürgen Secklehner. Weil im „Gelben Sack“ aber auch Silikontuben, Waschmittelkanister und andere lebensmittelfremde, teils verschmutzte Kunststoffverpackungen landen, ist genaues Sortieren gefragt. „Die aktuelle Anlageninfrastruktur in Österreich sorgt bei Kunststoffverpackungen für eine durchschnittliche Sortiertiefe von 58 %, TRIPLAST schafft bereits über 80 %“, sagt Secklehner. Und betont: „KI ist bei der Erreichung dieser Sortiertiefen unverzichtbar.“
Zwei wesentliche Säulen der TRIPLAST-Sortierung: Nahinfrarot-Sensorik teilt das Eingangsmaterial anhand der unterschiedlichen Polymerstruktur in knapp 20 Kunststofffraktionen. Eine davon ist Polyethylen, gerne genutzt für Lebensmittelverpackungen. Aber auch Silikontuben bestehen aus Polyethylen. Hier kommt die KI ins Spiel: Eine Kamera überträgt Bewegtbilder des Förderbands, die Künstliche Intelligenz erkennt mittels Mustererkennung und im Abgleich mit vorhandenen Erfahrungswerten live, was eine für das Recycling geeignete Verpackung war und folglich verarbeitet werden kann. Ungeeignetes Material wird von der KI markiert und mit Pressluftdüsen von der Positivfraktion separiert. All das geschieht bei Förderbandgeschwindigkeiten von 4-6 Metern pro Sekunde. „Wir brauchen hohe Bandgeschwindigkeiten, um die Sortierung im industriellen Maßstab zu bewältigen. Daran sind frühere Systeme oftmals gescheitert“, so Secklehner.
Technologiekonzern Andritz ist Teil eines Projekts, bei dem Wissenschaft und Industrie gemeinsam an der Entwicklung einer Smart Waste Factory arbeiten. „Die Smart Waste Factory soll die Recycling- und Verwertungsquoten gemischter Abfallströme erheblich steigern“, sagt Florian Laczkovits, Project Manager Digitalization bei Andritz. Das Besondere an diesem Konzept: Die intelligente Vernetzung der Maschinen soll auch bei sehr heterogenen und komplexen Materialströmen eine effiziente Wiederverwertung ermöglichen. Versuche dazu werden im Andritz Recycling Technology Center (ART Center) in St. Michael in der Obersteiermark durchgeführt. Wissenschaftler der Montanuniversität Leoben und der FH Joanneum sowie Experten aus dem Industriesektor evaluieren die Ergebnisse. Die Versuche im ART Center decken ein breites Spektrum ab, involviert sind unter anderem Zerkleinerungstechnologien, IoT-Sensoren zur Echtzeit-Überwachung und Klassifizierung von Abfallströmen sowie automatische Sortiersysteme, die maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz nutzen. „Durch gezielte Datenerfassung, umfassende Analysen und präzise Modelle an den kritischen Übergabepositionen gewinnen wir entscheidende Informationen. Beispielsweise zur Materialzusammensetzung, zum Durchsatz und zur Temperatur“, erklärt Laczkovits. Dadurch sollen etwa Zerkleinerungsmaschinen besser an den jeweiligen Materialmix angepasst werden können. Ein Ziel: Angestrebte Output Qualitäten sollen zuverlässig erreicht werden. Das ist wichtig für die Kreislaufwirtschaft, denn: „Abfallbehandlung muss qualitätsgesicherte sekundäre Rohstoffe herstellen, damit diese von der Produktionsindustrie in neue Produkte verwertet werden können.“
Ab 2025 müssen EU-Mitgliedsstaaten mindestens 50 Prozent der Kunststoffabfälle recyceln. Von den Kunststoffverpackungsabfällen in Österreich werden aktuell 25 % recycelt*. Bis 2030 müssen wir nach EU-Vorgaben bei Kunststoffverpackungen eine Recyclingrate von 55% erreichen.
* ARA, Umweltberatung